Allgemein

Moderne Behindertenbewegung

Moderne Behindertenbewegung

Veröffentlicht am Mittwoch, 28. Dezember 2016 von Franz Schmahl

Berlin (kobinet) Zum neuen Jahr wird in Deutschland ein Gesetz in Kraft treten, das dem Namen nach Teilhabe und Selbstbestimmung stärken soll, von davon Betroffenen aber so nicht gewollt wurde. Das von der großen Koalition angekündigte moderne Teilhaberecht ist es nicht geworden. Das Bundesteilhabegesetz tritt zunächst in einer ersten Stufe in Kraft, viele Regelungen erst in drei beziehungsweise sechs Jahren. Vorher soll noch evaluiert werden. Im Ringen um dieses Gesetz hat sich eine moderne Behindertenbewegung formiert. Deren entschiedener Widerstand gegen ein schlechtes Gesetz war spätestens während des Berliner Protesttages am 4. Mai abzusehen, als bei der traditionellen Runde der behindertenpolitischen Obleute aus dem Bundestag Unionssprecher Schummer gekniffen hat und seine SPD-Kollegin Tack ausgebuht wurde.

Stattdessen enterte die Bühne am Brandenenburger Tor eine Gehörlosen-Performance, die schon beim Protestmarsch vom Bundeskanzleramt zum Brandenburger Tor drastisch auf fehlende Menschenrechte aufmerksam machte. Viele mitunter spektakuläre Aktionen folgten dem Berliner Protesttag unter der Parole „Kein Kompromiss bei der Teilhabe" – in der Hauptstadt wie im ganzen Land zwischen Hamburg und München. Das war eine für manche Politiker überraschende Bewegung der Betroffenen von unten.

Möglichkeiten des angebrochenen digitalen Zeitalters wurden wie nie zuvor und sehr ideenreich genutzt. Behinderte Frauen und Männer versorgten dabei Vertreter der Medien mit harten Informationen, während die Bundesregierung in einer bei Betroffenen wenig wirkungsvollen Werbekampagne Steuergelder verballerte.

In Berlin mit dabei war zum Beispiel Markus Walloschek aus Erfurt, der an seinem Rollstuhl eine Kamera montiert hat und aktuell Videoinfos ins Netz stellt. Teilhabe aller Menschen ermöglichen, so sein Wahlspruch, damit Inklusion kein Fremdwort bleibt. Politisch ist er bei den Piraten aktiv. Er will weiter dranbleiben, kündigte der Mann nach einem Treffen mit Corinna Rüffer von den Grünen im Thüringer Landtag auf seinem blogspot an.

Eine Verbesserung ihrer Lebenssituation erwarten Walloschek und andere Aktivisten von diesem Gesetz nicht. Deshalb wollen sie weiter kämpfen – laut und selbstbewusst. Messlatte für Teilhabe und Selbstbestimmung bleibt die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Müßig die Diskussion darüber, ob demnächst das Bundesteilhabegesetz die UN-Konvention aushebeln oder neutralisieren könnte. Die erste Menschenrechtskonvention, die in diesem Jahrhundert von der Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurden, beweist seit zehn Jahren ihre eigene Dynamik als Motor für Inklusion und Teilhabe, auch wenn die Regierenden in Deutschland noch damit nicht Schritt halten können oder wollen.

Wenn sie sich einig ist, wird die moderne Behindertenbewegung in der Bundesrepublik, zu der auch die im öffentlichkeitswirksamen Kampf gegen ein schlechtes Teilhabegesetz entstandene Aktionsplattform AbilityWatch gehört, noch stärker, mehr Verbündete finden und schließlich erfolgreich sein. Im Wahljahr 2017 ist mit ihr bestimmt zu rechnen.

Einen Kommentar schreiben