2023-08-02_KSTA_Barrierefreiheit – Dieser Weg soll ein leichter sein
Odenthal – Wenn Bettina Mücke-Fritsch unterwegs ist, dann ist ihr Blick meist auf den Boden gerichtet. Selbst an interessanten Orten wie in Altenberg, wo die meisten Menschen eher himmelwärts schauen, der gotischen Architektur mit ihrem Streben nach Höhe folgend. Kritisch betrachtet die Odenthalerin die kleinen quadratischen Pflastersteine auf der Straße am Wendeplatz vor dem Alten Brauhaus, für sie eine problematische Rüttelstrecke. Denn Bettina Mücke-Fritsch ist auf den Rollstuhl angewiesen. „Und für jeden Rollstuhlfahrer ist Kopfsteinpflaster ein Problem“, erklärt sie. Gleiches gelte eigentlich für alle Menschen, die auf irgendeine Weise in ihrer Fortbewegung eingeschränkt seien.
Doch heute soll es für Bettina Mücke-Fritsch auf ihrem Ausflug einfacher werden. Sie will den barrierefreien Rundweg um den Altenberger Dom testen, der erst Anfang Juni eingeweiht worden ist. Ein „Leuchtturmprojekt“ im Rheinisch-Bergischen Kreis, mit dem ein Stück Inklusion verwirklicht werden soll und mit dem das Bergische als Tourismusregion auch neue Gäste nach Altenberg locken will.
Bettina Mücke-Fritsch ist viel in Altenberg unterwegs. Sie wohnt in Odenthal und ist in der Evangelischen Domgemeinde aktiv. Doch eine Dom-Umrundung hat sie noch nie unternommen. Rollstuhlfahrer starten nicht einfach so ins Blaue hinein, vermieden gewöhnlich ihnen unbekannte Strecken, erklärt sie. Immer aus Sorge, plötzlich vor einem unüberwindbaren Hindernis zu stehen. Und das kann schon eine einzige Stufe oder ein kleiner Abhang sein.
Diese Routensicherheit will der barrierefrei Weg geben. Die erste Infotafel am Wendeplatz Küchenhof gibt einen Überblick, informiert über den Weg und seine Stationen. Die Tafel (ebenso wie die Picknicktische später am Weg) ist so gebaut, dass man sie mit dem Rollstuhl unterfahren kann, um ganz nahe an die Infos heranzukommen. Dennoch fällt die Orientierung zunächst nicht leicht: Denn die Karte zeigt kein Luftbild von Altenberg, sondern eine etwas grob gehaltene Grafik der Gebäude. Auch die Nummerierung der Stationen folgt nicht dem Uhrzeigersinn „und Nummer fünf hängt irgendwo im No- where“, im Nirgendwo, wundert sich Mücke-Fritsch. Noch wichtiger aber: „Hier zu Beginn hätte ich mir einen Hinweis auf barrierefreie Toiletten gewünscht.“
Dann geht es am Nordportal vorbei rund um die Jugendbildungsstätte Haus Altenberg. Die audiovisuellen Stationen gefallen Bettina Mücke-Fritsch. Wenn auch eine Kante im Bodenbelag zunächst den Rollstuhl hemmt und Geduld und Muskelkraft gefragt sind, um die Kurbel zu bedienen, die die Energie für die sprechende Maschine liefert.
Hier am Nordportal spricht aus dem Zwitscherkasten der Cellerar, der Wirtschaftsverwalter des mittelalterlichen Klosters, alias Markus Wißkirchen, zu den Besuchern. Die Texte über das Klosterleben im Mittelalter und auch der übrigen Info- und Hör-Stationen lieferte Guido Wagner, Redaktionsleiter dieser Zeitung.
„Mir gefällt, dass die Tafeln mit Bildern, Text und Audio verschiedene Sinne ansprechen“, lobt Bettina Mücke-Fritsch. Doch sie ist abgelenkt. Ihr Blick geht ins Grüne, über die Wiesen hinauf zur Klostermauer. „Das ist sehr selten für Rollstuhlfahrer, dass man auch einmal ins Grüne kommt“, freut sie sich. „Das ist hier wirklich schön und etwas Besonderes.“
An einer Weggabelung stutzt sie. „Hier hätte ich mir noch einmal einen Hinweis gewünscht, dass ich noch auf dem richtigen Weg bin“, erklärt sie: „Rollstuhlfahrer brauchen Orientierung. Umwege sind mit Angst besetzt.“ Zumal ihr Blickwinkel aus dem niedrigen Rollstuhl notgedrungen ein anderer ist. Wo ein Spaziergänger aus einer Höhe von 1,70 Metern vielleicht schon von Weitem den weiteren Verlauf des Weges erkennt, da kann dies aus sitzender Position ganz anders aussehen. Schon ein kleiner Pfeil oder eine Farbmarkierung in der richtigen Höhe könnten Sicherheit geben, meint die Odenthalerin. „Aber ich sehe jetzt hier nur einen kleinen Berg, den ich wieder zurückrollen muss, wenn ich nicht mehr auf dem richtigen Weg sein sollte“, schildert sie ihre Gedanken.
Aber der Weg ist richtig und seine Fortsetzung wird mit einem schönen Blick auf den Dom und auf eine friedlich davor grasende Schafherde belohnt. Hier möchte Bettina Mücke- Fritsch am Picknickplatz etwas länger verweilen, doch die beiden Plätze für Rollstühle sind genau neben zwei großen Mülltonnen eingerichtet worden. „Nicht sehr einladend“, findet Mücke-Fritsch, wenn auch praktisch, denn mit einer Armbewegung kann auch von Rollstuhlfahrern der Picknickmüll ordnungsgemäß entsorgt werden.
Weiter geht es an der Orangerie vorbei zurück zum Ausgangspunkt am Alten Brauhaus. Auch hier sucht Mücke-Fritsch vergeblich einen Hinweis auf den neuen Komfortweg. Etwa die Hälfte der insgesamt 1,4 Kilometer langen Tour liegt hinter Bettina Mücke-Fritsch. „Es war nicht zu anstrengend für mich“, fasst sie die Anforderungen zusammen. Ihre Kritikpunkte seien mit wenig Aufwand nachzurüsten. Dazu gehört auch ihr Wunsch nach einem Flyer, der bei der Eröffnung des neuen Wanderweges bereits angekündigt wurde. Bettina Mücke-Fritsch: „Dieser Weg ist wirklich ein Gewinn für Altenberg.“
Barrierefrei rund um den Altenberger Dom
Der Komfortspazierweg ist rund 1,4 Kilometer lang und Teil des Projektes „Alle inklusive – barrierefrei & seniorengerecht“. Er wurde – wie auch ein zweites „Leuchtturmprojekt“ an der Brucher Talsperre – zu 80 Prozent aus Fördermitteln der EU und des Landes NRW finanziert, den Rest übernahmen der Rheinisch-Bergische und der Oberbergische Kreis.
Der barrierefreie Weg rund um den Altenberger Dom führt an mehreren behindertengerechten Picknickplätzen sowie an audiovisuellen Stationen vorbei, die Wissenswertes über den Ort des ehemaligen Klosters, seine Geschichte und heutige Nutzung vermitteln.
Der Weg soll ein Schritt auf dem Weg zu mehr Barrierefreiheit sein. Mit dem Angebot will die Tourismusorganisation Das Bergische/Naturarena Bergisches Land GmbH noch mehr Menschen nach Altenberg locken. Das Planungsteam hatte im Vorfeld etliche Barrieren und Hürden überwinden müssen, um den Weg zu verwirklichen. Zur Gestaltung sei auch der Inklusionsbeirat Odenthal hinzugezogen und mit Vorschlägen berücksichtigt worden, berichtete dessen Vorsitzender Dr. Bernd Fröhlingsdorf. Bei Begehungen – auch bei Befahrungen mit dem Rollstuhl – habe man auf spezielle Erfordernisse hingewiesen und Gestaltungsvorschläge gemacht. Mit der lange angekündigten, behindertengerechte Toilettenanlage nahe des Küchenhof-Parkplatzes, so Fröhlingsdorf, werde die Barrierefreiheit künftig noch weiter verbessert. (spe)