Warum eine Ruhlander Rentnerin keine Hilfe bekommt
Abtelefoniert hat Sigrid Hennig alle: den Pflegestützpunkt in Senftenberg, die Behindertenbeauftragte des Landkreises, das Rote Kreuz in Ruhland, die Volkssolidarität in Schwarzeide und Pflegedienste zwischen Hohenbocka und Ortrand. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Rentnerin (78), die seit 17 Jahren ihren Mann (80) zu Hause pflegt, kann weit und breit kein Angebot im Hauswirtschaftsbereich ausfindig machen, das ihr hilft, ihr großes Anwesen in Ruhland in Schuss zu halten.
Die Rentnerin wählt sich von Nummer zu Nummer durch, fragt nach und bekommt immer die gleiche Abfuhr: Schnee räumen, Rasen mähen, Sträucher und Hecken verschneiden gehören nicht zum anerkannten Leistungsspektrum. Dabei braucht die Rentnerin dringend Unterstützung rund um Haus und Hof. Als pflegende Angehörige steht ihr genau dafür ein Entlastungsbetrag der Pflegekasse in Höhe von 125 Euro zu. Gezahlt wird das Geld für Angebote zur Entlastung des Alltags der Pflegenden.
So weit so gut. Wenn da nicht die große Hürde wäre, einen Anbieter zu finden. Denn Angebote der Unterstützung im Alltag dürfen nicht von jedem beliebigen Hausmeisterdienst erbracht werden, sondern müssen vorab vom Landesamt für Soziales und Versorgung anerkannt sein. Für den Landkreis sind genau zwei Anbieter für derartige Dienstleistungen zertifziert. Das ist zum einen das Unternehmen „Sauber Zauber“ aus Wormlage und zum anderen „Blitzsauber“ aus Senftenberg.
Während Sigrid Hennig die aussichtslose Suche inzwischen aufgegeben und auf eigene Kosten eine Ruhlander Firma mit dem Schneeschieben beauftragt hat, kann sich „Sauber Zauber“-Chefin Liane Wagner aus Wormlage kaum retten vor Dutzenden Anfragen von pflegenden Angehörigen, die kreisweit bei ihr eingehen. Zwei Drittel ihrer 80 zu Hause lebenden Kunden haben mit einem Pflegegrad Anspruch auf den Entlastungsbetrag. Die von ihr erbrachten Unterstützungsleistungen rechnet Liane Wagner deshalb direkt mit der Pflegekasse ab. „Dazu gehören auch verschiedene Gartenarbeiten, Rasen mähen und der Hausputz“, erklärt sie.
Das vor zwei Jahren gegründete Unternehmen boomt. Liane Wagner würde gern noch mehr Menschen helfen, weil ihr der Engpass im Hauswirtschaftsbereich im Landkreis bekannt ist. Ihre fünf Mitarbeiter fahren Touren in einem Umkreis von bis zu 25 Kilometern rund um Wormlage. „Mehr geht derzeit nicht“, sagt die Chefin und bittet zugleich um Verständnis.
Beim Schritt in die Selbstständigkeit hatte die „Sauber Zauber“-Inhaberin den hohen Verwaltungsaufwand nicht gescheut, damit sie von Amtswegen anerkannt wird. Dafür hat sie sich extra auf die Schulbank gesetzt, ist nach Potsdam gefahren und hat Konzepte geschrieben.
„Die allermeisten Hausmeisterservice scheuen aber diesen Anerkennungs-Wahnsinn“, bestätigt Carola Wolschke vom Landkreis. Wenn es nach der Behindertenbeauftragten ginge, sollten solche Unterstützungsangebote, ähnlich wie in anderen Bundesländern gehandhabt, in Brandenburg einfacher geregelt werden. Auch für Marita Thümmler als Koordinatorin der Freien Wohlfahrtspflege im Kreissozialamt ist die Situation bei den Hilfen im Hauswirtschaftsbereich unbefriedigend. „Es gibt kreisweit viele Anbieter, die es gern machen würden, vor den Anerkennungs-Hürden aber zurückschrecken“, sagt sie. Dass mit der Anerkennungs-Verordnung die Qualität der Dienstleistungen sichergestellt werden soll, geht für Carola Wolschke in Ordnung. „Mit der großen Bürokratie geht die Verordnung aber am wirklichen Leben vorbei“, erklärt sie.
Das wirkliche Leben muss indes für die 78-jährige Sigrid Hennig weitergehen. Mit der Pflege ihres Mannes rund um die Uhr gefordert, hat sie keinen Nerv, weiter nach der Nadel im Heuhaufen zu suchen. Und damit verfällt der Entlastungsbetrag, der ihr eigentlich Luft verschaffen soll, Monat um Monat, weil sie schlicht und ergreifend keinen Anbieter findet, der vor ihrer Tür zertifiziert Schnee schieben darf.