barrierefreier Sex

No more Tabus – Sex und Behinderung

No more Tabus – Sex und Behinderung

Ein Film von Andrea Gentsch

Können Menschen mit Behinderung Lust empfinden? Haben sie ein Sexualleben? Und wie ist das für ihren Partner? Drei Menschen, die an Muskelschwund erkrankt sind, wollen das Thema aus der Tabuzone holen.

Thomas und Anke liegen auf der Couch und küssen sich
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Lust, Leidenschaft, Erotik – wir leben in einer Gesellschaft, in der es scheinbar keine Tabus gibt. Doch sind wir wirklich so tolerant und offen? Wie empfinden das Menschen, die durch eine Behinderung nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen? Wird ihnen Sexualität zugestanden?

Das gängige Schönheitsideal durchbrechen

Anastasia Umrik erkrankte mit zwei Jahren an Muskelschwund. Bei dieser Erbkrankheit verliert der Körper nach und nach an Kraft. Die Betroffenen können sich zunehmend schlechter bewegen. In ihrem 2012 erschienenen Fotobildband “AnderStark” porträtiert sie Frauen, die ebenfalls an dieser Krankheit leiden, und zeigt bewusst auch ihre erotische und provokante Seite, positiv dargestellt, ohne Mitleid zu erregen. Ihre Fotomodelle befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Behinderung. Manche können noch laufen, andere können fast gar nichts mehr.

Ich würde mir wünschen, dass man Menschen mit einer Behinderung nicht mehr als asexuell wahrnimmt. Dass man gar nicht mal hinterfragt: Haben die überhaupt eine Sexualität, verspüren sie Lust oder ist das einfach irgendwie tot. Und ich hoffe, dass die Texte und die Bilder das so ein bisschen öffnen und den Gedanken erlauben.

Anastasia Umrik

Bildergalerie: No more Tabus – Sex und Behinderung

Lust, Leidenschaft, Erotik – Wie empfinden das Menschen, die durch eine Behinderung nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen? Wie sieht ihr erotischer Alltag aus? Die Reportage geht diesen Fragen nach.

Matthias Vernaldi im Rollstuhl  Matthias Vernaldi wird im Rollstuhl auf einer belebten Straße von seinem Assistenten ausgefahren  Matthias Vernaldi und Stephanie Klee blättern zusammen in einem Fotobuch  Thomas und Anke im Park  Thomas unterstützt Anke beim Essen  Thomas und Anke liegen auf der Couch und küssen sich  Anastasia am Elbufer in Hamburg  Anastasia mit ihrer Freundin im Sex-Shop

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Recht auf Sex

In Berlin kämpft Matthias Vernaldi, der ebenfalls an Muskelschwund erkrankt ist, seit Jahren für ein Recht auf Sex. Auch Menschen mit Behinderung sollen die Chance auf käuflichen Sex haben, ganz gleichberechtigt. In den “wilden Siebzigern” lebte Matthias in einer thüringischen Kommune mit behinderten und nichtbehinderten Aussteigern zusammen. “Wir hatten lange Haare, haben Rockmusik gehört und wollten ewig Rotwein saufen, und da haben wir gesagt: Wir machen so eine linke Kommune auf. Die Behinderten nehmen ihre Renten und Sonderpflegegelder und da können dann die Nichtbehinderten mit von leben, und die geben uns dafür das, was man heute als Assistenz bezeichnet. Komischerweise hat das geklappt.” Mitte der 1990er-Jahre gründete er den Verein “Sexybilities”, der dazu beiträgt, dass barrierefreie Bordelle entstehen und die Situation behinderter Freier sich verbessert.

Im Vorfeld waren meine Erfahrungen, dass Prostituierte sagten: Nee, mit dir nicht, du bist ja behindert. Und da entstand die Idee, dass dahinter mehr steht als nur eine persönliche Abneigung. Dass das eben ein gesellschaftliches Phänomen ist, dass Behinderung erotisch als unattraktiv bewertet wird – nicht nur als unattraktiv, sondern oft auch als Schreck- und Scheubild.

Matthias Vernaldi

Im barrierefreien Bordell “Liberty” ist Matthias Vernaldi inzwischen Stammkunde. Das Edelbordell in Berlin-Schöneberg empfängt seit fünf Jahren sowohl Gäste mit als auch ohne Behinderung. Hier werden alle gleichberechtigt behandelt. Es gibt das volle Leistungsspektrum für jeden, ohne Aufpreis. Die Bordell-Betreiberin ließ sich bei der Einrichtung der Zimmer von Matthias Vernaldi beraten. Die Räume haben extra breite Türen, barrierefreie Bäder und Lifter für den Whirlpool. Die Nachfrage steigt, die Ängste und Vorurteile der Prostituierten schwinden.

Es gibt Gäste, die in erster Linie einfach den Körperkontakt haben möchten, die mehr massiert oder gestreichelt werden möchten, die einfach die Körpernähe spüren wollen. Sie haben eben Probleme, im normalen Leben eine Partnerin zu finden, mit der sie so einfache Sachen wie Körpernähe erleben können. Und deswegen bedeutet es diesen Menschen sehr viel, die Körpernähe herzustellen, die Wärme zu spüren, die Berührung zu spüren. Sie zehren ganz, ganz lange davon.

Marlene, Bordellbesitzerin

Barrierefreie Sexualität

Stephanie Klee
Sexualassistentin Stephanie Klee auf dem Weg zu ihrem Kunden Matthias Vernaldi.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Auf der Hamburger Reeperbahn gibt es einen Sexshop, in dem auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen eine Vielzahl an Hilfsmitteln finden können. Patrizia arbeitet als Sexualberaterin für Behinderte und ermutigt sie, ihre eigene Sexualität zu entdecken. Sie weiß, mit welchen Hemmungen ein Besuch im Sexshop für viele verbunden ist. Daher bietet sie nicht nur ihre Beratung, sondern auch ihre Begleitung beim Einkauf an. Sie weiß: Viele würden den Laden aus Scham sonst nie betreten.

Stephanie Klee ist Sexualassistentin und besucht Menschen mit Behinderung zu Hause. “Es geht darum, Menschen eine weite Spannbreite von Sexualität zu bieten, die dazu selbst nicht in der Lage sind, also von sich aus nicht aktiv werden können und dennoch aber dieses Bedürfnis ausleben wollen. Man könnte auch sagen, es ist ein Aspekt von Prostitution, und von daher bin ich Sexarbeiterin.” Interessant findet sie, dass man ihrer Arbeit mit sehr viel mehr Hochachtung und Respekt begegnet, als der anderer Prostituierter.

Die Facetten des Liebeslebens sind auch bei Menschen mit Behinderung breit gefächert. Menschen wie Anastasia Umrik und Matthias Vernaldi wollen sich weiter dafür starkmachen, dass Menschen mit Behinderung als gleichwertige Sexualpartner wahrgenommen werden – ob durch Aufklärung, konkrete Beratungsangebote oder mithilfe von Kunst, die die Menschen zum Nachdenken anregt.

Ich wünsche mir, dass behinderte Leute viel präsenter sind, dass sie im Stadtbild auftauchen, in der Nachbarschaft, im Kollegenkreis. Dass sich diese Sonderbehandlung auflöst, dass es eben keine Einrichtungen mehr gibt, keine geschützten Werkstätten. Dass behinderte Menschen teilhaben können am Leben wie andere Leute auch. Und daraus wird sich auch eine Verbesserung ihrer Position in Bezug auf Sexualität ergeben.

Matthias Vernaldi
Quelle: 

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