KRITIK AN GEPLANTER REFORM
Sozialverband fürchtet Nachteile für Menschen mit Behinderung
Von Uwe Westdörp, 22.10.2018, 01:00 Uhr
Der Sozialverband VdK Deutschland warnt vor deutlichen Verschlechterungen für Menschen mit Behinderung. Laut VdK droht durch eine geplante Reform die Gefahr, dass die Versorgungsämter künftig niedrigere Grade der Behinderung (GdB) feststellen. Dies könne teilweise zum Verlust des Nachteilsausgleichs und von Schutzregelungen führen, heißt es in einer Stellungnahme des Verbandes, die unserer Redaktion vorliegt. Nachteilsausgleiche sind zum Beispiel unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr, steuerliche Erleichterungen, Zusatzurlaub und ein verbesserter Kündigungsschutz.
Der VdK stößt sich an einem Referentenentwurf des Bundessozialministeriums zur Fortschreibung der so genannten Versorgungsmedizin-Verordnung. Diese Verordnung regelt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Grad der Behinderung zuerkannt wird. Geprüft werden dabei körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen. Der Umfang der Einschränkung wird laut geltendem Sozialgesetzbuch mit dem Grad der Behinderung in Zehnergraden von 20 bis 100 beschrieben. Als schwerbehindert gelten Menschen, denen ein GdB von mindestens 50 zuerkannt wird. Ende 2017 hatten rund 7,8 Millionen Menschen in Deutschland diesen Status.
Künftig soll nun bei der Prüfung der Versorgungsämter auch der Einsatz medizinischer Hilfsmittel und alltäglicher Gebrauchsgegenstände berücksichtigt werden. Mit einer solch pauschalen Festlegung würden aber viele Betroffene benachteiligt, kritisiert der VdK. Er argumentiert, Hilfsmittel würden Beeinträchtigungen beim einzelnen unterschiedlich gut ausgleichen.
Ebenfalls gravierende Auswirkungen hätte dem Sozialverband zufolge die geplante Überarbeitung der „Heilungsbewährung“. Bisher wurde bei bestimmten Erkrankungen, etwa bei einer Krebsdiagnose, pauschal der Schwerbehindertenstatus für mindestens fünf Jahre zuerkannt. Das könnte sich laut VdK künftig ändern. Er befürchtet eine Verkürzung der Heilungsbewährung und niedrigere Einstufungen beim Grad der Behinderung. „So soll nach dem Entwurf eine akute Leukämie nach dem ersten Jahr der Diagnosestellung bei kompletter klinischer Remission unabhängig von der durchgeführten Therapie eine Heilungsbewährung von drei Jahren haben. Danach wird der GdB herabgestuft, je nach verbliebenen Auswirkungen auf minimal GdB 30.“
Begründet werden die geplanten strengeren Regeln unter anderem mit dem medizinischen Fortschritt auch bei schweren und chronischen Erkrankungen, mit der besseren Hilfsmittelversorgung und dem Abbau von Mobilitätsbarrieren im öffentlichen Raum. VdK-Präsidentin Verena Bentele lässt dies nicht gelten: „Jede einzelne dieser Begründungen stößt bei uns im VdK auf komplettes Unverständnis. All das deckt sich nicht mit der Lebensrealität unserer Mitglieder. Die Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderung mögen sich teilweise etwas verbessert haben, aber das rechtfertigt nicht diese pauschale und deutliche Verschärfung.“
Kritisch sieht der VdK auch Änderungen bei der Bildung eines Gesamt-GdB, wenn also mehrere Beeinträchtigungen zusammenkommen: „Dabei sollen nur noch Einzel-GdB über 20 berücksichtigt werden. Gleichzeitig sollen viele Beeinträchtigungen nur mit geringem GdB von 10 oder 20 bewertet werden.“ Es könne deshalb sein, dass künftig weniger Menschen überhaupt den Schwerbehindertenstatus mit mindestens GdB 50 erreichen. „Zudem droht die Gefahr, dass viele Betroffene ihren Schwerbehindertenstatus oder ihre Merkzeichen und damit auch Nachteilsausgleiche verlieren.“ Der VdK fordert deshalb einen unbeschränkten Bestandsschutz für vorhandene GdB und Merkzeichen, damit heute Betroffene nicht zu Verlierern werden.