Leichte Sprache

“Von Leichter Sprache profitieren fast alle”

Christiane Maaß: eine Frau Mitte 40 mit Brille und langen roten Haaren. © Universität Hildesheim

Prof. Christiane Maaß leitet die Forschungsstelle Leichte Sprache an der Uni Hildesheim.

Leichte Sprache soll Menschen mit geringer Lesefähigkeit das Verstehen von Texten erleichtern. An der Universität Hildesheim wird unter Leitung von Christiane Maaß der Aufbau und der Einsatz der Leichten Sprache wissenschaftlich erforscht. NDR.de hat mit der Professorin für Medienlinguistik gesprochen.

Frau Prof. Maaß, wie definieren Sie Leichte Sprache?

Christiane Maaß: Leichte Sprache ist eine Form des Deutschen, die sich vom Standarddeutschen unterscheidet: Leichte Sprache ist in Satzbau und Wortschatz reduziert, und sie ist auch reduziert mit Bezug auf das Hintergrundwissen, das ein Text voraussetzt. Leichte-Sprache-Texte sind außerdem auf eine bestimmte Art visuell aufbereitet. Sie sehen anders aus als standardsprachliche Texte: Die Sätze sind kurz, die Schrift ist möglichst groß, der Text ist linksbündig ausgerichtet, jeder Satz beginnt mit einer neuen Zeile, es werden Symbole und Bilder verwendet. Das sind einige der formalen Regeln.

INTERVIEW IN LEICHTER SPRACHE

Warum ist Leichte Sprache wichtig?

Die Universität Hildesheim untersucht Leichte Sprache. Dort arbeitet Christiane Maaß. Sie kennt sich mit Leichter Sprache gut aus. Wir haben mit Christiane Maaß über Leichte Sprache gesprochen. mehr

Wer ist die Zielgruppe der Leichten Sprache?

Maaß: Primär sind das Menschen mit Behinderung. Deutschland hat 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben und sich damit dazu verpflichtet, diesen Menschen eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, so heißt es dort. Diese enge Zielgruppe hat also ein Recht darauf, dass ihnen Informationen barrierefrei zugänglich gemacht werden. Es profitiert aber ein weitaus größerer Teil der Bevölkerung von Leichter Sprache, nämlich alle die, die Schwierigkeiten haben mit standarddeutschen Texten – also funktionale Analphabeten, Migranten, Touristen und auch viele ältere Menschen in der Gesellschaft, von denen es ja in Zukunft immer mehr geben wird. Bei richtig schwierigen Texten, etwa aus dem Bereich Recht oder Medizin, profitieren eigentlich fast alle.

Leichte Sprache also als ein Mittel der Inklusion?

Maaß: Ja, Leichte Sprache ist ein sehr schönes Beispiel für Inklusion. Es gibt eine enge Zielgruppe, die hat qua Gesetz ein Anrecht auf leicht verständliche Texte, nämlich Menschen mit Behinderung. Es profitiert aber tatsächlich eine viel größere Gruppe davon. Damit ist auch dieses Gönnerhafte raus, denn Menschen mit Behinderung bringen etwas mit, sie tragen etwas in die Gesellschaft: Sie machen die Welt barrierefreier, und andere profitieren davon.

Schauen wir auf die erweitere Zielgruppe: Nimmt die Leichte Sprache da nicht auch den Anreiz, schwerere Texte zu verstehen?

Maaß: Man sollte nicht Lesedidaktik und Leichte Sprache gegeneinander ausspielen, beide haben dasselbe Ziel, sie sind Teil derselben Bemühungen. Nehmen wir die funktionalen Analphabeten, die sind ja nicht behindert, aber beim Lesen stehen sie vor ähnlichen Problemen wie viele andere Menschen mit Behinderung. Sie lesen zu langsam und können deshalb den Sinn eines Textes nicht erfassen. Lesen und Verstehen funktioniert so: Man hat einen Arbeitsspeicher im Kopf, der das gerade Gelesene eine Zeit lang vorhält. Wenn man zu langsam liest, dann ist der Speicher schon wieder leer, bevor man den Sinn erfasst hat. Und hier beginnt der Teufelskreis: Die Betroffenen lesen wenig, ihre Lesegeschwindigkeit steigert sich also nicht. Und wenn man lange nicht gelesen hat, fehlt irgendwann auch das Hintergrundwissen. Über bestimmte Zusammenhänge in der Gesellschaft zum Beispiel redet man nicht zu Hause in der Familie, die lernt man über den schriftlichen Diskurs. Beides kompensiert die Leichte Sprache: die Schwierigkeiten beim Lesen selbst und die Schwierigkeiten beim Textverständnis durch fehlendes Hintergrundwissen. Einige Vertreter der erweiterten Zielgruppe, so ist zumindest die Hoffnung, schaffen dann den Weg in die Standardschriftlichkeit. Leichte Sprache kann also eine Brücke zum Standard sein.

In welchen Bereichen ist Leichte Sprache und somit gesellschaftliche Teilhabe besonders wichtig?

Maaß: Generell kann man sagen: in allen Bereichen! Denn wenn es um Teilhabe geht, darf man natürlich nicht werten oder zensieren. Es geht vielmehr darum, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass die Zielgruppe selbst in der Lage ist zu entscheiden: In welchen Bereichen ist uns Teilhabe wichtig? Hier haben wir eine Bringschuld und müssen die Barrieren senken, um die Menschen in die Lage zu versetzen, selbst entscheiden zu können. Trotzdem kann man sagen, dass die Teilhabe in einigen Bereichen vielleicht besonders dringlich ist. Und da sehe ich den juristischen und den medizinischen Bereich ganz vorn. Denn hier werden Menschen in die Lage versetzt, über ihr Leben und ihren Körper zu bestimmen. Diese Texte sind auch meist besonders schwer, sodass das Übersetzen in Leichte Sprache eine besondere Herausforderung ist. Es profitieren dann aber auch ganz besonders viele Menschen: Wir haben am Institut zum Beispiel eine Erbrechtsbroschüre in Leichte Sprache übersetzt. Die wurde mit 30.000 Stück gedruckt und war innerhalb von wenigen Monaten vergriffen.

So einen Erfolg hat man vielleicht nicht mit allen Texten, die man in Leichter Sprache anbietet. Wie erreicht man die Zielgruppe?

Maaß: Auch hier müssen wir in Vorleistung gehen: Es müssen möglichst viele Informationen in Leichter Sprache an gut sichtbarer Stelle angeboten werden, damit die Menschen sich die Mühe machen nachzusehen, wenn sie Informationen brauchen. Im Moment ist es noch so: Es ist eher Zufall, ob ich auf einer Homepage Informationen in Leichter Sprache finde. Wenn es irgendwann ganz normal ist, dass man dort Inhalte in Leichter Sprache findet, dann werden auch mehr Menschen auf die Idee kommen, Informationen zu suchen und nachzufragen – das ist dann der Lerneffekt.

Schauen wir in die Zukunft: Wie würde eine sprachlich barrierefreie Gesellschaft in Idealform aussehen?

Maaß: Klare Antwort: Idealerweise würden alle Texte auch in Leichter Sprache zur Verfügung stehen! Dann würden Menschen, die heute kaum Texte finden, die leicht genug für sie sind, genug Lesestoff haben. Aber zurück in die Gegenwart, und da muss uns allen klar sein: Barrierefreiheit kostet Geld, sei es nun für Rampen an Gebäuden oder für die Übersetzung von Texten. Inklusion ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wir müssen einen gesellschaftlichen Diskurs darüber führen, wie viele Ressourcen wir bereit sind einzusetzen. Ganz wenig sollten es nicht sein, sonst wird das Projekt nicht gelingen.

Das Gespräch führte Inken Schröder.

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