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Hürden für unabhängige Beratung

Hürden für unabhängige Beratung

Veröffentlicht am Freitag, 26. Mai 2017 von Ottmar Miles-Paul

Porträtfoto Andreas Vega

Porträtfoto Andreas Vega                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   ©-Bild Andreas Vega

München (kobinet) Bei vielen Beratungsstellen ist derzeit die unabhängige Teilhabeberatung, die im neuen Bundesteilhabegesetz verankert ist, ein großes Thema. Einen Entwurf für die Ausschreibungsunterlagen gibt es, voraussichtlich nächste Woche soll vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales die endgültige Ausschreibung ins Internet eingestellt werden. Auch in Bayern wird das Bewerbungsverfahren intensiv diskutiert. Dort gibt es bereits vom Freistaat geförderte Beratungsstellen durch die sogenannte "Offene Behindertenarbeit OBA". Die kobinet-nachrichten sprachen mit zwei MitarbeiterInnen und einem Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes des VbA-Selbstbestimmt Leben in München über die Perspektiven, das Ausschreibungsverfahren und die praktische Umsetzung der unabhängigen Teilhabeberatung.

kobinet-nachrichten: Ein Entwurf für die Ausschreibung für Beratungsstellen, die sich für die unabhängige Teilhabeberatung zum Bundesteilhabegesetz bewerben wollen, ist inzwischen veröffentlicht worden. Wie läuft dazu die Diskussion in Bayern?

VbA-Selbstbestimmt Leben: Die unabhängige Teilhabeberatung wird und wurde ja von der Bundesbehindertenbeauftragten Verena Bentele hochgelobt und als wichtiger Bestandteil des neuen Bundesteilhabegesetzes beworben. Natürlich haben auch wir sehr viel Hoffnung darauf gesetzt, schließlich schien es inhaltlich genau um unsere Ziele zu gehen. Leider scheint das Bundesteilhabegesetz auch in diesem Bereich unsere Hoffnungen nicht zu erfüllen, im Gegenteil. Wir befürchten, dass auch hier große Einrichtungsträger die Nase vorn haben werden.

kobinet-nachrichten: Worauf begründen sich diese Befürchtungen? Es soll doch genau das Gegenteil mit der unabhängigen Teilhabeberatung bewirkt werden?

VbA-Selbstbestimmt Leben: Es fängt schon einmal damit an, dass die Dauer der Finanzierung begrenzt ist. Wenn Sie eine Beratungsstelle aufbauen, dann brauchen Sie doch erst einmal Zeit, um sich zu etablieren und Netzwerke aufzubauen. Nach den jetzigen Plänen wird es vermutlich so sein, dass sie gerade anfangen können vernünftig zu arbeiten, Erfolge erzielen werden und in diesem Moment bereits wieder ihre Beratungsstelle schließen müssen, weil die Finanzierung ausläuft. Außerdem ist es für Vereine und Verbände aus der Selbsthilfe und der Selbstvertretung nahezu unmöglich, die vorgeschriebenen Bedingungen zu erfüllen. Zum Beispiel ist die Verwaltungspauschale viel zu klein für den finanziellen Aufwand, der nötig ist. Denken Sie zum Beispiel an die Mietkosten in den großen Ballungsräumen für Räumlichkeiten, die ja schließlich auch noch barrierefrei sein müssen. Und dann bleibt immer noch eine finanzielle Eigenbeteiligung von 5 Prozent vom Gesamtprojekt zu leisten. Das würde den kleinen Vereinen das Genick brechen und auch für uns ist das ein Ausschlusskriterium für eine Bewerbung.

kobinet-nachrichten: Aber steckt denn inhaltlich nicht eine große Chance in der unabhängigen Teilhabeberatung? Schließlich könnte doch die Methode des "Peer-Counseling" endlich etabliert werden.

VbA-Selbstbestimmt Leben: Das hatten wir gehofft. Leider entpuppt sich bei näherer Betrachtung des Entwurfs der Ausschreibungsunterlagen auch dies als Blase. Von den künftigen Beraterinnen und Beratern soll sehr viel erbracht werden. Medizinische, psychologische und andere bisher gängige beratungsrelevante Fachkenntnisse werden bei den BewerberInnen vorausgesetzt. "Peer-Counseling" kommt dort nur am Rande vor. Beim "Peer-Counseling" ist die Qualifizierung eine völlig andere, als in den gängigen Sozialberufen der sogenannten Experten. Hier wird eine große Chance verpasst, Menschen mit Behinderung ein neues Arbeitsfeld zu eröffnen. Eine Menge Menschen absolvieren ja eine entsprechende "Peer-Counseling" Ausbildung, und diese ist nicht an ein Hochschulstudium geknüpft. Die Voraussetzungen, ein guter "Peer-Counseler" zu sein, findet sich eben auf einer ganz anderen Ebene, als in den Zeugnissen irgendwelcher Schulabschlüsse.

kobinet-nachrichten: Das "Peer-Counseling" wurde im Wesentlichen durch die Selbstbestimmt Leben Bewegung in Deutschland etabliert. Außerdem bieten der VbA-Selbstbestimmt Leben und das Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) seit vielen Jahren entsprechende Weiterbildungmodule an. Diese Angebote gibt es bei den großen Trägern nicht. Für einen Verein wie euch wäre die unabhängige Beratung mit dem "Peer-Counseling" Ansatz ja geradezu zugeschnitten. Wie läuft die Diskussion dazu bei euch im Verein? Ist das nicht schon ein großer Vorteil gegenüber der traditionellen Behindertenhilfe?

VbA-Selbstbestimmt Leben: Da wir auf der Grundlage des "Empowerment" und des "Peer-Counseling-Prinzip" beraten, liegt es natürlich nahe und es wäre im Grunde wünschenswert, dass der VbA sich bewirbt. Allerdings ist es aufgrund der oben erwähnten Gründe auch ein Risiko. Es ist ein bisschen ein Verfahren im "Blindflug": Die Bewerbung selbst ist viel Arbeit, die Bewilligung kommt spät. Woher soll zum Beispiel bei einem kurzfristigen Zuschlag das Fachpersonal in kurzer Zeit kommen? Wir sind intern noch in der Diskussion und es gibt im Moment zu diesem Thema unterschiedliche Sichtweisen. Einerseits wäre es gut und wichtig das "Peer-Counseling-Prinzip" auszubauen. Dabei müssen wir als ExpertInnen in diesem Bereich auftreten, die wir ja schließlich sind. Und wir könnten die "Peer-Counselor" unter Umständen auch für große Träger der Behindertenhilfe ausbilden. Andererseits wollen wir nicht als "Steigbügelhalter" zum Beispiel für Sondereinrichtungen fungieren. Wir erleben gerade die Bemühungen von großen Einrichtungen sich auf diese Beratungsstellen zu bewerben. Die haben es finanziell und personell gegenüber uns kleinen Vereinen im Kreuz und können das gut schultern. Natürlich fehlen ihnen auf der anderen Seite die "Peer-Counselor", daher kommen dann solche hanebüchene Ideen, wie die, von uns ausgebildete "Peer-Counselor" für sich anzuwerben und ihnen Beratungstätigkeiten auf ehrenamtlicher Basis anzubieten. Das geht gar nicht. "Peer-Counseling" muss im professionellen Bereich gestärkt werden und darf nicht in den ehrenamtlichen Bereich rutschen. "Peer-BeraterInnen" müssen für ihre Arbeit auch angemessen entlohnt werden.

kobinet-nachrichten: Wo seht ihr denn den dringensten Änderungsbedarf? Welche Forderung habt ihr an eine gute unabhängige Beratung und das Verfahren dazu?

VbA-Selbstbestimmt Leben: Grundsätzlich muss eine gute unabhängige Beratung auch in Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung konzeptioniert, geprüft und kontrolliert werden. Eine unabhängige Beratung sollte eben auch wirklich unabhängig sein. Durch die Ausnahme im Gesetz, dass auch Träger, die nicht unabhängig sind, sich bewerben können, wenn sich keine andere Möglichkeit bietet, wird die Unabhängigkeit grundsätzlich in Frage gestellt. Dasselbe gilt für das Prinzip des "Peer-Counseling". Eine das "Empowerment" unterstützende Beratung muss durch "Peers" durchgeführt werden. Leider gibt es auch hier im Gesetz eine Ausnahme: Sollte kein "Peer-Counselor" verfügbar sein, kann die Beratung auch jeder andere machen. Das ist völlig absurd und stellt die unabhängige Teilhabeberatung komplett auf den Kopf.

kobinet-nachrichten: In Bayern gibt es ja bereits seit vielen Jahren Fördermöglichkeiten im Rahmen der Offenen Behindertenarbeit (OBA) durch das Land. Könnte es hier zu Problemen bei Bewerbungen kommen bzw. besteht die Gefahr, dass das Land hier Kosten spart?

VbA-Selbstbestimmt Leben: Die Sorge ist, dass Beratungsstellen, die wie wir über die OBA gefördert werden, durch eine Bewerbung Nachteile haben könnten. Da die OBA-geförderten Beratungsstellen ja zum Teil – so wie beim VbA – schon Teilhabeberatung machen, gibt es große Unsicherheiten, wie die bestehende Beratung von der "Unabhängigen Teilhabeberatung" abgegrenzt werden könnte. Sollte der Freistaat Bayern der Meinung sein, dass der Bund ja jetzt für die Teilhabeberatung zahlt, könnte es beim Auslaufen der Finanzierung zu Kürzungen kommen. Nach drei Jahren könnte die Beratungsfinanzierung für einzelne Beratungsstellen gestoppt werden und nach fünf Jahren gibt es dann eventuell die Bundesmittel nicht mehr und die Landesmittel wurden neu verteilt und sind dann auch weg. Es heißt zwar, dass bei Förderung durch Bundesmittel keine Einsparungen passieren "sollen“. Verbindliche Zusagen gibt es allerdings nicht. Im Bayerischen Staatsministerium für Soziales und Gesundheit ist die Möglichkeit, Landesmittel durch Bundesmittel zu ersetzen, noch nicht endgültig vom Tisch.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

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