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einfach machen

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Veröffentlicht am Freitag, 5. Mai 2017 von Ottmar Miles-Paul

Ottmar Miles-Paul Protesttag 2014

Ottmar Miles-Paul Protesttag 2014                 ©-Bild – Eckhard Lucht

Kassel (kobinet) "einfach machen – Gemeinsam die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen": dieser Slogan springt einem entgegen, wenn man sich auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention informieren will. Und genau dieser Slogan veranlasste kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul zu einem Kommentar zu so manchen Äußerungen von BundespolitikerInnen der großen Koalition, die in diesen Tagen durchs Land hallen.

Ja, "einfach machen" ist ein guter Slogan und ja, dieser Slogan bringt es auf den Punkt, was in Deutschland längst überfällig ist. Dass man das, was man lauthals redet, auch tut – oder zumindest ernsthaft versucht, es zu tun. Und da kommen selbst mir als altem Hasen der Behindertenpolitik gelinde gesagt immer größere Zweifel auf, sprich, ärgere ich mich zunehmend über die mittlerweile frei heraus praktizierte Scheinheiligkeit. Als hätte es in den letzten Jahren keine große Koalition gegeben, bemüßigen sich nun in den Tagen um den Europäischen Protesttag zur Gleichstellung behinderter Menschen herum, gerade diejenigen, die an der Regierung sind, sich mit Forderungen zu überbieten, als wären sie die Opposition.

Ulla Schmidt glänzt derzeit über alle Kanäle in bester Vorwahlkampfmanier damit, dass sie ihre verschiedenen Hüte als Bundestagsvizepräsidentin und als Lebenshilfe-Vorsitzende in den Ring wirft, um lauthals das Wahlrecht für alle zu fordern und den Wahlrechtsausschluss der knapp 85.000 Menschen, die in allen Angelegenheiten Betreuung nutzen, zu kritisieren. Der unbefleckte Beobachter dieser Presseberichte wird sich sagen: "toll, dass sich diese Frau so für behinderte Menschen einsetzt". Diejenigen, die zum Teil seit 25 Jahren auf die Straße gehen, um gegen Benachteiligungen für behinderte Menschen zu kämpfen, reiben sich jedoch zunehmend die Augen. War da nicht was? Ist Ulla Schmidt nicht eine profilierte Bundespolitikerin mit langjähriger Erfahrung als Bundesministerin? Ist sie nicht Abgeordnete der SPD, die derzeit in der Regierung ist? Warum kommt diese Forderung jetzt kurz vor Toresschluss des Bundestages in dieser Wahlperiode so massiv auf den Tisch, während die Rufe derjenigen, die die Abschaffung des Wahlrechtsausschlusses schon seit Jahren fordern, eher unter den Tisch gedrängt und durch Untersuchungen etc. aufgeschoben und aufgehoben wurden? Vieles von dem, was also nun lauthals von den KoalitionspolitikerInnen gefordert wird, ist schlichtweg die beste Beschreibung dessen, was sie in den letzten Jahren nicht richtig angepackt, bzw. nicht geregelt bekommen haben – und in dieser Legsislaturperioder schon gar nicht mehr hinbekommen. Also vielen Dank für diese mediale Aufbereitung des Versagens.

Und da reiht sich der Vorstandskollege von Ulla Schmidt in der Lebenshilfe von der CDU, Uwe Schummer, bestens ein. Während der namentlichen Abstimmung zum Bundesbehindertengleichstellungsgesetz hat der Behindertenbeauftragte der CDU/CSU Bundestagsfraktion Uwe Schummer wie fast alle Mitglieder der übermächtigen Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD die Hand gegen die Verpflichtung privater Anbieter zu angemessenen Vorkehrungen zur barrierefreien Gestaltung von Dienstleistungen und Produkten gehoben. Von Ulla Schmidt war auch nichts Gegenteiliges zu vernehmen. Viel Verständnis für die massiven Protestaktionen gegen diese schwache Gesetzesreform gab es vonseiten der Regierungskoalition auch nicht. Und nun sollen wir uns anhören, dass Uwe Schummer "eine breite, von der gesamten Gesellschaft getragene Offensive für Barrierefreiheit" für nötig hält. Die Festschreibung klarer gesetzlicher Regelungen zur Barrierefreiheit statt des jahrzentelangen Rumgeeiers frei nach dem Motto "Wasch mir den Pelz, aber mach mich bloß nicht naß" gegenüber der Wirtschaft, wäre genau eine solche Initiative gewesen. Denn mit den wachsweichen Bestimmungen in Deutschland zur Barrierefreiheit bei Dienstleistungen und Produkten verharren wir weiter in der Bittstellerposition und dürfen uns das Gerede von zuständigen Abgeordneten für irgendwelche Offensiven zur Barrierefreiheit anhören. Knapp ein Jahr nach der Gesetzesreform zeigt sich deutlicher denn je, dass sich die meisten privaten Anbieter von Dienstleistungen einen Dreck darum scheren, ob behinderte Menschen in ihren Laden reinkommen oder nicht. Jeanette Severin vom Kölner Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ZsL) versucht zum Beispiel seit Jahren in ihrem Kölner Stadtteil Laden- und Kaffeebetreiber zu überzeugen, doch Rampen anzuschaffen, die sogar äußerst erschwinglich sind. Reaktion fast Null! Und wer ist dafür verantwortlich, dass wir weiterhin keine gesetzlichen Möglichkeiten haben, dies konsequent einzufordern?

Der Tipp zum diesjährigen Protesttag ist also schlichtweg an diejenigen, die politische Verantwort inne haben. Weniger öffentliches Geplapper und mediales Getue und statt dessen effektives politisches Handeln und Überzeugen der eigenen Reihen. Und: vielleicht mal ein bisschen Ehrlichkeit, dass man Dinge verpennt, nicht geschafft hat oder der Zug für manche Forderungen in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages schlichtweg abgefahren ist. Ein bisschen mehr Demut täte manchmal auch gut, gerade auch im Lichte eines Bundesteilhabegesetzes, durch das Zwangspoolen und Heimeinweisungen Tür und Tor geöffnet wird. Wir haben den Europäischen Protesttag zur Gleichstellung behinderter Menschen vor 25 Jahren nicht gestartet, um uns an diesem Tag verarschen zu lassen.

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