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80.000 Behinderte von Wahl ausgeschlossen “Sie dürfen ein Auto kaufen – aber nicht wählen”

80.000 Behinderte von Wahl ausgeschlossen"Sie dürfen ein Auto kaufen – aber nicht wählen"

Behinderte Menschen, die rechtliche Betreuer haben, dürfen bei der Bundestagswahl nicht wählen. Das müsse sich ändern, fordert die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele.

Etwa 80.000 Menschen mit rechtlicher Betreuung in allen Angelegenheiten dürften weder wählen, noch sich zur Wahl stellen, moniert Bentele im SWR. Es ist absurd: Die Menschen verlieren zwar ihr Wahlrecht, bleiben aber geschäftsfähig. Das heißt: Sie dürfen ein Auto kaufen, aber nicht wählen gehen. Ein Wahlrecht für die Betroffenen wäre eine Chance und keine Gefahr für die Demokratie, ist die Behindertenbeauftragte überzeugt: "Dieses Wahlrecht wollen wir den Menschen unbedingt zurückgeben."

Die Wahlrechtsausschlüsse beträfen Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen und/oder psychischen Erkrankungen. Mit dem Wahlrecht werde den Betroffenen ein wichtiges Grundrecht vorenthalten, "weil diese Menschen durchaus am politischen Leben teilnehmen wollen, zu Veranstaltungen gehen wollen, sich Vorträge anhören wollen und natürlich auch sagen können: Zu dieser oder jenen Person oder Partei fühle ich mich eben mehr hingezogen."

Politiker befürchten Wahlrechts-Missbrauch

Innenpolitiker wenden ein, es drohe ein Missbrauch des Wahlrechts. Betreuer könnten zum Beispiel für Wachkoma-Patienten wählen, die ihren Willen gar nicht äußern können. Das weist Bentele als nicht stichhaltig zurück: "In meinen Augen ist die Missbrauchsgefahr wirklich sehr gering." Bei Briefwahl sei generell nicht nachvollziehbar, ob die Wahl geheim und allein stattfinde. Es gebe keine Gewähr dafür, wie der Wahlakt ablaufe: "Das wissen wir bei keinem Menschen und genauso wenig würden wir das bei Menschen mit rechtlicher Betreuung wissen."

Nordrhein-Westfalen bei gestrichenem Wahlrecht an der Spitze

Die meisten Wahlrechtsausschlüsse bei der Bundestagswahl 2013 gab es nach Zahlen des Bundessozialministeriums in Nordrhein-Westfalen. Baden-Württemberg steht an fünfter Stelle mit 6.130 Ausschlüssen und Rheinland-Pfalz auf Platz neun mit 2.463 Personen, die von der Wahl ausgeschlossen wurden. Hochgerechnet pro 100.000 Bürger gab es die meisten Ausschlüsse in Bayern.

 

Unterschiedliche Regelungen in Bund und einigen Ländern

Einige Bundesländer haben den Wahlrechtsausschluss für die Landtagswahlen bereits aus dem Gesetz gestrichen. So dürfen die Betroffenen bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Mai wählen, bei der Bundestagswahl im September aber nicht. Aus Sicht der Behindertenbeauftragten ist das eine absurde Situation und ein Grund mehr, den Wahlrechtsausschluss auch im Bund zu streichen: "Wer sich auf Landesebene für die Interessensvertretung entscheiden kann, der kann das auch auf Bundesebene", sagt Bentele.

Kaum Chancen auf Umsetzung

Dass Benteles Forderung noch vor der Bundestagswahl am 24. September 2017 umgesetzt wird, gilt als unwahrscheinlich. Die Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD haben sich darauf verständigt, das Wahlrecht nicht in einzelnen Punkten zu ändern, sondern wenn überhaupt, dann nur in einer umfassenden Reform. Eine solche Reform wird es aber voraussichtlich vor September nicht mehr geben. Das räumt auch Bentele ein: "Die Aussichten sind nicht so gut, aber wir kämpfen weiter. Ich bin optimistisch, dass wir irgendwann unser Ziel auch erreichen."

Leicht verständliche Informationen würden helfen

Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf fordert Bentele alle Parteien auf, die Wahlprogramme auch in leicht verständlicher Sprache anzubieten. Sie ist davon überzeugt, dass das nicht nur behinderten Menschen dabei helfen würde, politische Inhalte besser zu verstehen.

 

Von Mathias Zahn, SWR-Hauptstadtstudio | Online: Biggi Hoffmann

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